Anmerkungen zum Konzert am 25.10.2017

Kirchenmusik ist wie alle Musik stets ein Spiegel unserer eigenen Verfasstheit – unseres Hoffens oder Bangens, unserer Weite oder unserer Enge, unseres Lebens zwischen dem Gestern und dem Morgen, zwischen individuellen Vorstellungen und überindividuellen Prägungen. Für Luther aber war die Musik noch sehr viel mehr: Sie war eine Gabe Gottes zur Erbauung des einzelnen.
Die Kirchenmusik aber ist sich mehr noch als alle anderen Musiken ihrer Rückbindung bewusst – und nicht zuletzt ihrer langen fünfzehnhundertjährigen Geschichte wegen. Und diese Geschichte ist nicht freischwebend, sondern stets als Anbindung an die Gemeinde, als Ausdruck gemeinsamen Sehnens und Hoffens zwischen dem Gestern und dem Morgen.

Das Programm, das für den vierten und letzten Abend zu Ehren Luthers zusammen gestellt wurde, versteht sich als dieser Querschnitt zwischen dem Gestern und dem Morgen, indem es die Idee der Messe mit seinen fünf Teilen (Kyrie – Gloria – Credo – Sanctus und Benedictus – Agnus Dei) noch einmal nachzeichnet in der Musik des großen Lutherinterpreten Johann Sebstian Bach und des katholischen Organisten Jean Langlais, dessen Messe für Sopran und Orgel „Missa in simplicitate“ in sehr schlichten Sätzen die sonntägliche Liturgie aufgreift.
Der Chor vermittelt zu Beginn, was den einzelnen in seiner ganzen Geworfenheit immer wieder umtreibt: „Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen?“, einer Motette von Johannes Brahms, welche die Frage nach dem gerechten Gott stellt. Der Abend endet mit der Brahms-Motette „Es ist das Heil uns kommen her“ – sozusagen als Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Und im Zentrum des Abends wird als Uraufführung eine Komposition Stephan Meiers stehen.
Meier, einer der interessantesten Komponisten und Schlagzeuger der jüngeren Generation, studierte zunächst in Hannover und Den Haag Schlagzeug und Klavier. Heute gilt er als einer wichtigsten Motivatoren der musikalischen Avantgarde. Bereits 1993 gründete er sein international arbeitendes „Ensemble für Neue Musik“, das ganz wesentlich auch die Neue Musik-Szene Hannovers mit zahlreichen Ur- und Erstaufführungen geprägt hat. Inzwischen leitet Meier zudem die Birmingham Contemporary Music Group.
Im Frühjahr 2017 schrieb er als Auftragswerk der Dreifaltigkeitskirche die Komposition „Im Wort“ für Sopran, Orgel und Chor, eine Komposition, die sich aus heutiger Sicht mit Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott“ auseinandersetzt. In dieser Arbeit werden die unterschiedlichsten Möglichkeiten der menschlichen Stimme vom Hauchen bis ins Forte hinein gefordert, und dies nicht als Selbstzweck, sondern als Ausdruck menschlichen Ringens um die Wahrheit, die nie verfügbar ist – auch nicht die reformatorische, die sich bei Meier in kleinsten Partikeln ausdrückt. Wesen und Werden der Reformation – es ist ein beständiges Ringen, ein Suchen, ein Finden und wieder ein erneutes Suchen nach der „festen Burg“ und damit nach der schützenden Wahrheit. So wird das Suchen zum Zentrums des menschlichen Seins – ein Sehen im Wort als einem gebrochenen Spiegel.